
Letztes Wochendende wurde es mal wieder Zeit, die gemütliche Festung der Einsamkeit zu verlassen und sich unter Menschen zu mischen. Richtige Menschen… gruselig… Zum Glück waren auch haufenweise Monster da, die die mir wieder ein Gefühl von Heimat gaben. Eine richtig gute Mischung also!
Die Play heißt mit vollem Namen Creative Gaming Festival. Ich stellte mich also auf massig Indies ein. Super Meat Boy-Klone, Minecraft-Reskins, solche Sachen. Mit Glück würde vielleicht ein halbwegs brauchbares Shmup dabei sein. Die Indie-Szene ist doch in den letzten Jahren ganz schön fett, faul und bequem geworden – dachte ich.
Auf das was dann tatsächlich kam war ich nicht vorbereitet. In der Indie-Szene lodert tatsächlich noch ein heißes Feuer! Ein Feuer aber, dass weder Einheiten noch Lootboxen verkauft und deswegen unter fast jedem Radar vor sich hin gammelt.Doch zu den Spielen komme ich später. Was ist die Play?
„PLAY ist das weltweit erste und einzige Festival, das die Bereiche Medienkunst, Diskurs und Bildung mit der Kultur digitaler Spiele vereint.“ – so heißt es in der Pressemitteilung. Klingt sehr gebildet und studentisch, und das war es auch. Der sonst bei Gaming-Veranstaltungen übliche Kommerz fehlte völlig. Ich konnte mit jedem ein tiefsinniges Gespräch führen und bekam neue Impulse ohne Ende.

Das Thema waren Monster. Monster finden sich auf Fantasy-Schlachtfeldern, in uns und der Gesellschaft, als niedliche Pokémon -überall eigentlich. In einer sorgsam kuratierten Ausstellung wurden Spiele gezeigt, die alle möglichen Aspekte des Monsterseins wiederspiegelten. Zusätzlich wurden Workshops und Talk-Runden abgehalten, die das Thema vertieften.

Zu Beginn kam allerdings eine etwas lange Eröffnungsrede, in der vor allem den anwesenden Pokitikern gedankt wurde. „In der Hamburger Bürgerschaft habt ihr wohl auch Monster, was? – Haha!“ Solche Sachen müssen wohl sein, denn noch immer ist Gaming nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen und noch lange nicht gleichgestellt mit Literatur und Film. Entsprechend ist Finanzierung und Unterstützung für die Play enorm wichtig.
Zum Glück wurde es aber schnell interaktiv. Zwei Minecraft-Monsterchen wollten aus dem Bühnen-Rechner befreit werden, wozu die Zuschauer gut versteckte QR-Codes in der Halle suchen mussten. Das „öffnete“ den Weg zur Ausstellung, und es durfte endlich gespielt werden!

Die Ausstellung
Über zwanzig Spiele wurden hier gezeigt, auf PC, Tablet und Konsole. In The Longing kriecht ein kleiner Troll quälend langsam durch ein Höhlenlabyrith. Das Besondere: Das Spiel läuft in Echtzeit ab. Nach 400 echten Tagen ist Schluss. Du kannst das Labyrith erkunden, oder den kleinen Racker wie ein Tamagotchi umsorgen.
Passengers atmet herrlichen Pixelcharme, hat aber einen bitterbösen Hintergrund. In der Wirtschaftssimulation schleust du Flüchtlinge von Afrika nach Europa. Du kannst Boote kaufen, die Küstenwache bestechen und entscheidest wer an Bord kommt. Jeder der Flüchtlinge hat seine eigene Geschichte zu erzählen, und den meisten wirtschaftlichen Erfolg hatte ich wenn ich sie auf einem vollkommen überladenen Wrack in den Tod geschickt habe – sie hatten schließlich schon bezahlt.

Sarg: The Game
Du glaubst Pover Shovel und Steel Battalion haben exotische Peripherie? Think again! Grave Call wird mit einem echten Sarg gespielt. In dem Koop-Spiel wurdest du lebendig begraben, und du hast noch für zehn Minuten Luft. Dein Mörder hat jedoch vergessen dir dein Handy abzunehmen. Dein Mitspieler spielt den Operator in der Polizeizentrale, und muss zwei Polizeiwagen auf einer interaktiven Karte auf die Suche nach dir schicken. Du durchsuchst derweil fiebrig dein Handy nach Informationen, die dem Operator helfen können dich zu finden. Was sind die letzten Termine in deinem Kalender? Hast du mit deinem Mörder vielleicht noch per Whatsapp geschrieben?

Leider bin ich zu dick für den Sarg, aber ich durfte die Rolle des Operators übernehmen. Mein tapferes Opfer erzählt mir dass der letzte Termin in seinem Kalender eine Hochzeit war, also suche ich nach einer Kirche. Durch triangulieren des Signals kann ich den Suchbereich eingrenzen, bis nur noch eine eine mögliche Kirche übrig bleibt – siehe da, gerettet!
Theoretisch reichen zwei Handys mit Headsets aus um Grave Call zu spielen. Echtes Feeling kommt aber nur mit Sarg auf. Deswegen ist das Spiel mehr für Events und Freizeitparks gedacht. Der Entwickler denkt aber über eine Collector’s Edition für den Heimgebrauch nach. Der anwesende Sarg wurde von einem Hamburger Bestattungsunternehmer ausgeliehen, der zum Dank einen Stapel Vorsorge-Flyer dalassen durfte. Da schimmerte er dann doch wieder etwas durch, der alte Kommerz.

Gewinnegewinnegewinnegewinne!
Kein Wunder, dass Grave Call den Publikumspreis des Festivals abräumen konnte. Dazu bekam jeder Besucher einen Streifen mit Klebepunkten die an den Schildern mit dem Spieletitel angebracht werden konnten. Eine Jury vergab den Most Creative Gaming Avard an Welcome to Elk, ein Spiel dass reale Gewalttaten in ein fröhlichbuntes Insel-Adventure packt. Den Newcomer-Award räumte PileUp! ab, ein Koop-Knobelspringspiel in dem Mitspieler als Plattformen herhalten müssen. Wo ich meine eigenen Sticker geklebt habe erfährst du in einem separaten Special.

Workshops
Welche Geräusche macht ein Monster? Wie geht ein Game-Designer an die Gestaltung eines Monsters heran? Warum empfinden wir Gefühle für Figuren, die nur als Pixeln bestehen? In zahlreichen Vorträgen und Workshops wurde sich diesen Themen genähert, wobei auch selbst gezeichnet und programmiert werden durfte. Es durften sogar Entwicklerstudios in Hamburg besucht werden. Leider hat die Zeit gefehlt um sich alles anzuschauen. Mein Highlight waren hier die Jungs vom Insert Moin-Podcast. Michael kennt Boobsie! Und Kollegin Josy von Ragingreaparty.de hat sogar selbst eine Lehrerfortbildung veranstaltet.

Rock & Wrestling, jajajaja
Als „Rausschmeißer“ für den Samstag gab es ein ganz besonderes Highlight! Die „Rock & Wrestling“-Show baute im Konferenzraum einen Ring auf und lieferte eine starke Show ab. Rock & Wrestling, das ist laut, schmutzig, gewollt thrashig, selbstironisch und entertaining ohne Ende. Die Kunst-Persönlichkeiten des Show-Wrestling werden hier auf die Spitze getrieben. Es kämpfen riesige Pappmaschee-Gurken gegen Schnitzel, Greta Thunberg gegen den Wutbürger und „St. Pauli auf’s Mauli“ gegen den schmierigen Staatsanwalt. Der Endkampf – der solarbetriebene Roboter Bento V gegen Kommander Kernschmelze – hatte sogar eine interaktive Komponente. Das dralle Nummerngirl Heidi Hitler (nur echt mit Bärtchen) und ihre hübsche Kollegin Dolly Duschenka (eine echte Frau – nicht selbstverständlich!) holten Freiwillige auf die Bühne, die aus Dance Dance Revolution-Matten die Moves der Kämpfer aufladen mussten.

Das Play-Festival war eine wahre Freude! Weit ab von den üblichen Massenveranstaltungen mit dem Charakter einer Butterfahrt fühlte ich mich hier als Gamer ernstgenommen, verstanden und inspiriert. Leider war es mein erstes, aber es bleibt ganz sicher nicht mein letztes- Bitte macht weiter, bitte werdet größer, und bitte bleibt euch treu! Ich komme auf jeden Fall wieder.
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